Lernstoff in den Alltag überführen

Wie schaffen Sie es eigentlich, Clean Code Development Praktiken (und damit auch Prinzipien) in Ihren Alltag zu einzubauen? Diese Frage tauchte anlässlich einer Vorstellungsrunde in einem TDD 2.0 Training auf. Ein Teilnehmer sprach nämlich ausdrücklich davon, das sei sein Vorsatz.

Über solchen Vorsatz habe ich mich natürlich sehr gefreut. Doch auf die Frage, wie hoch die Wahrscheinlichkeit sei, dass der Vorsatz auch in die Tat umgesetzt würde angesichts all der Umsetzungs(miss)erfolge mit früheren Vorsätzen… da kam dann leider nur eine Wahrscheinlichkeit von weniger als 50% heraus.

Das wäre aber doch schade, oder? Allemal angesichts der Anfangsinvestition an Zeit und Geld in das Training. Ganz zu schweigen von den nicht realisierten Vorteilen, wenn die Entwicklung anschließend nicht sauberer testgetrieben verläuft.

Aber das ist sicher nicht nur ein Problem dieses Teilnehmers. Im Grunde kämpfen ja alle damit, Lernstoff nach Ende des Trainings im Alltag lebendig zu halten oder gar zu vertiefen und anzuwenden. Wie kann das funktionieren?

Ich denke, es ist für unsere Motivation und unser Selbstvertrauen wichtig, in der Lage zu sein, solch einen Vorsatz verlässlich in die Tat umzusetzen. Er stellt ja ein Versprechen dar, das wir uns (oder gar dem Unternehmen, das ein Training bezahlt) geben. Und versprechen soll(t)en eingehalten werden. Das erhält und schafft Vertrauen mit all seinen guten Effekten.

Deshalb hier zwei Tipps, um es Ihnen leichter zu machen, den Vorsatz umzusetzen, Lernstoff in den Alltag zu überführen.

Nach dem Behavior Grid von BJ Fogg, einem Experten in Sachen Verhaltensveränderung, geht es um ein Green Path Verhalten, d.h. ein neues Verhalten, das Sie von nun an auf unbestimmte Zeit annehmen wollen. Er schreibt dazu:

Green Path Behaviors are the result of three elements: Motivation, Ability, and Triggers. As the Fogg Behavior Model describes, you must Trigger the behavior when the person is both Motivated and Able to perform it. The specific steps: 1. Boost motivation (if needed), 2. Enhance ability by making the commitment act simple, 3. Issue the trigger when #1 and #2 are in optimal states.

BJ Fogg Behavior Grid

Nicht zu viel vornehmen

An Motivation wird es Ihnen nicht fehlen. Sie haben sich ja gerade freiwillig mit einem spannenden Lernstoff auseinandergesetzt und suchen nach einem Weg, Ihre hohe Motivation möglichst verlustfrei in eine bleibende Veränderung zu transformieren.

Deshalb ist die erste Frage nach BJ Fogg, wie Sie Ihre „ability“ erhöhen, eine neue Verhaltensweise an den Tag zu legen. Beispiel: Im TDD 2.0 Training haben Sie die Methoden „TDD as if you meant it“ und „Informed TDD“ kennengelernt – und dennoch fehlt Ihnen noch etwas. Das ist die Fähigkeit (ability), das Gelernte jeden Tag einzusetzen.

BJ Fogg schreibt dazu:

Increase the perceived ability (self-efficacy) by making the behavior easier to do

Sie müssen also einen Weg finden, um den Lernstoff einfach in den Tag zu integrieren.

Das kann auf zwei Wegen geschehen:

  • Sie nehmen sich vor, (zunächst) nicht alles, sondern nur einen Teil anzuwenden. Sie reduzieren also den Umfang. Konzentrieren Sie sich z.B. auf nur eine der beiden erlernten obigen Methoden.
  • Sie nehmen sich vor, (zunächst) nur eine sehr kurze Zeit pro Tag oder Woche mit dem Lernstoff zu verbringen. Dieser Zeitraum sollte so kurz sein, dass es Ihnen keine Schmerzen bereitet, ihn wirklich regelmäßig im Tag bzw. in der Woche freizuräumen für den Lernstoff.

Damit erreichen Sie, dass Sie sich nicht zu viel vornehmen, sich nicht überfordern. Gehen Sie lieber in kleinen, dafür verlässlich Schritten vor – statt dass Sie mit großen Sprüngen anfangen, die Sie schnell ermüden oder mit einer organisatorischen Wand kollidieren lassen.

Wenn Sie sich für jeden Tag etwas vornehmen, scheinen mir 15 Minuten (ca. 3% Ihrer Zeit/Tag) die maximale Zeitspanne, die Sie dem Neuen widmen sollten. Natürlich wären 30 Minuten oder gar 45 oder 60 noch besser, doch bleiben Sie realistisch. Freuen Sie sich lieber auf garantierte, einfach einzuplanende 15 Minuten, als dass Sie immer wieder um größere Zeitspannen ringen müssen. (Sie können die Zeitspanne ja auch jederzeit verlängern, wenn Sie merken, dass die Regelmäßigkeit kein Problem darstellt.)

Falls Sie sich aber nicht jeden Tag, sondern nur wöchentlich mit dem Neuen beschäftigen können/wollen, dann empfehle ich max. 120 Minuten pro Woche (5% Ihrer Zeit/Woche) einzuplanen. Längere Zeit können Sie sich kaum am Stück zurückziehen.

Wie gesagt, am wichtigsten ist, dass Sie sich verlässlich Ihrem Lernstoff widmen. Das tun Sie aber nur, wenn die Organisation der dafür notwendigen Zeit, ein no brainer für Sie ist. Sich die Zeit zu nehmen, muss schmerzfrei bis schmerzarm sein. Darauf dürfen Sie keine Energie verwenden müssen, sonst laugen Sie sich aus – und andere Dinge, die weniger Energie erfordern, nehmen diesen Raum wieder ein.

Was Sie übrigens mit dem (reduzierten) Lernstoff in der (kurzen) Zeitspanne tun, ist Ihnen überlassen. Sie können ihn einfach lernend vertiefen und üben. Oder Sie können ihn schon im Projekt anwenden. Vermeiden Sie in beidem Überforderung.

An ein bestehendes Verhalten knüpfen

Der Raum, den das Neue einnimmt, sollte also (zunächst) nur klein sein. Aber wo sollte dieser Raum liegen?

Im Kalender verankern

Wenn Sie schon ein funktionierendes Zeitmanagement haben, dann platzieren Sie den Zeitraum für die Beschäftigung mit dem Lernstoff einfach im Kalender. So gewährleisten Sie, dass Sie das Thema im Tagesstress nicht vergessen. Sie behandeln es dann wie jeden anderen „offiziellen Termin“. Und so sollte es auch sein. Lernen ist nicht weniger wichtig als ein Meeting oder die Abgabe eines Berichtes, die ebenfalls im Kalender stehen.

Allemal mit einer wöchentlichen Lernphase lohnt sich der Eintrag im Kalender. Das muss ja nicht sklavisch immer am selben Tag und zur selben Zeit sein. Diese Woche Mittwoch vormittag, nächste Woche Donnerstag nachmittag usw. ist völlig ok.

Blocken Sie Lernzeiten! Sie sollten first class citizens in Ihrem Kalender sein.

An eine Gewohnheit knüpfen

Für kurze tägliche Lerneinheiten hingegen mag ein Kalendereintrag zu umständlich/schwergewichtig sein. 15-20 Minuten können Sie auch ohne einschieben. Aber wie erinnern Sie sich daran? Indem Sie den Raum fürs Lernen an einen schon bestehenden Raum anschließen.

Ihre Tageszeit ist aufgeteilt in größere und kleinere Räume. Insbesondere wenn Sie die verlassen besteht eine gute Chance, dass Sie einen anderen als üblichen Weg einschlagen. Schließen Sie das Lernen als bereichernden kleinen Umweg an etwas an, was Sie ohnehin jeden Tag garantiert tun. Beispiel:

  • Sobald Sie morgens den Rechner hochgefahren haben, widmen Sie sich als erstes für 15 Minuten dem Lernstoff. Wäre das nicht ein guter Start in den Tag?
  • Wenn Sie mittags vom Essen kommen, überwinden Sie das „Suppenkoma“ mit 20 Minuten Lernzeit. Das macht mehr Spaß als gleich wieder ans Bug Fixing zu gehen.
  • Jeden Tag nach dem Daily Standup konzentrieren Sie sich zuerst 15 Minuten auf den Lernstoff, bevor Sie mit der Projektarbeit loslegen.

Sie haben sicher noch mehr und andere Gewohnheiten, an die Sie das Lernen binden können. Nehmen Sie sie als automatische Erinnerungen während des Tages, den Lernstoff nicht aus den Augen zu verlieren.

Je kürzer der Zeitraum für das Lernen ist, desto besser muss natürlich die Vorbereitung sein, den Lernstoff wieder aufnehmen zu können. Machen Sie Lesestoff griffbereit (als Buch mit Lesezeichen oder als Link in einer Leseliste), legen Sie ein eigenes Repository mit passenden Projekten an, legen Sie sich eine klare Aufgabe zurecht (z.B. als Link zu einer Kata im Coding Dojo).

Nicht alleine lernen

Abschließend noch die Empfehlung: Lernen Sie nicht allein. Es ist so viel leichter, mit anderen zusammen zu lernen. Damit meine ich nicht, dass Sie ständig diskutieren müssen. Nein, es geht nur darum, die Absicht und auch die Zeit mit anderen zu teilen. Dadurch überwinden Sie eher den inneren Schweinehund. Außerdem ist es leichter, gegen äußere Widerstände den Vorsatz durchzusetzen.

Das wöchentliche Lernen bietet sich für ein Lernen in der Gruppe an. Alle ziehen sich dann – wie im Kalender verabredet – zusammen in einen Raum zurück. Das schafft eine konzentrierte Atmosphäre.

Aber auch tägliches Lernen lässt sich mit anderen organisieren. Wenn das nicht die Kollegen sind, dann vielleicht „Freunde in der Cloud“? Mit Apps wie coach.me ist das sehr einfach möglich – und Ihnen wird auch noch digital geholfen, bei der Stange zu bleiben.

Sollte das nicht funktionieren, hilft ein Accountability Partner, mit dem Sie in 1-2 Wochen Abstand Ihre Erfolge, Strategien, Ziele besprechen können. Sie glauben gar nicht, wie hilfreich solche Gespräche sein können, um Vorsätze systematisch umzusetzen. Ein „Gewissen auf zwei Beinen“ wirkt Wunder, wenn Sie meinen, es aus eigener Kraft nicht zu schaffen.

 

Sie sehen: Vorsätze in die Tat umsetzen ist möglich. Je kleiner zunächst der Aufwand, desto höher die langfristige Erfolgswahrscheinlichkeit. Nehmen Sie sich also nicht zu viel vor. Aber nehmen Sie sich ein bisschen vor – und fangen Sie einfach an und machen dann weiter und weiter und weiter… ;-)

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